«Die Steuersenkung ist mehr als verkraftbar»
Vor kurzem veröffentlichte die Stadt Rorschach den Geschäftsbericht 2020. Darin ist zu lesen, dass eine Steuersenkung um fünf Prozent geplant ist. Im Interview mit den «Bodensee Nachrichten» erklären Stadtpräsident Robert Raths und Reto Stuppan von der Finanzverwaltung, warum eine Steuersenkung Sinn ergibt und welche Herausforderungen das Coronavirus mit sich bringt.
Rorschach «Aufgrund der Pandemie und den unklaren Prognosen zur Entwicklung der Wirtschaft war es für den Stadtrat eine grosse Herausforderung, ein Budget für das kommende Jahr zu erstellen», schreibt Stadtpräsident Robert Raths zu Beginn des vor kurzem veröffentlichten Geschäftsberichts. Trotz der wirtschaftlich schwierigen Lage beantragt die Stadt Rorschach eine Steuersenkung um fünf Prozent. Der Stadtpräsident sowie der Leiter der Finanzverwaltung, Reto Stuppan, sehen darin jedoch keine Gefahr für die finanzielle Zukunft der Stadt. Im Interview erklären die beiden weshalb.
Herr Raths, wie ich vernommen habe, wurden Sie vom Coronavirus nicht verschont. Geht es Ihnen besser?
Robert Raths: Ja, es geht mir wieder gut, danke. Ich sowie einzelne Mitarbeiter der Stadt hatten das Virus im November. Die eine oder andere Person leidet noch heute unter den Folgen der Infektion. Mich hat es ebenfalls ganz schön erwischt, bin aber heute wieder fit.
Seit dem 1. Januar 2020 sind Sie im Amt als Rorschacher Stadtpräsident. Kurz darauf mussten Sie sich mit einer Pandemie auseinandersetzen. Wie sehr hat das Coronavirus Sie vom eigentlichen Tagesgeschäft abgehalten?
Robert Raths: Ich würde sagen, das Virus hat mich während des Tagesgeschäftes begleitet. Bereits sehr früh haben wir mit den Abteilungsleitern eine Task Force einberufen, damit wir dem Virus bestmöglich entgegentreten konnten. Und ich denke, das ist uns nicht so schlecht gelungen.
Welche waren die grössten Herausforderungen während dieser Zeit?
Raths: Eine grosse Herausforderung war das Verhindern von grossen Menschenansammlungen am See und auf öffentlichen Parkplätzen. Gerade wenn schönes Wetter herrscht, strömen unzählige Menschen nach Rorschach. Darum war es auch nur konsequent, Parkplätze zu schliessen. Nur so konnten wir brenzligen Situationen entgegenwirken.
Sind Sie aufgrund solcher Bemühungen mit dem eigentlichen Tagesgeschäft in Verzug geraten?
Raths: Das Tagesgeschäft ging und geht vor. Das Virus hat uns begleitet und sicherlich für den einen oder anderen Verzug gesorgt. Wobei ich gestehen muss, dass ich nicht sicher bin, ob der entstandene Verzug auf das Coronavirus zurückzuführen ist.
Was meinen Sie damit?
Raths: Wir haben im letzten Jahr die Bürgerversammlung bewusst um einen Monat nach hinten verschoben. Doch dann mussten wir diese aufgrund des Coronavirus absagen. Stattdessen stimmten die Bürgerinnen und Bürger via Urne über die Jahresrechnung und das Budget ab. Solange Rechnung und Budget nicht gutgeheissen wird, dürfen wir faktisch nichts ausgeben. Das alles kostete uns Zeit. Und dass ich nicht vor die Bürgerschaft treten konnte, bedaure ich sehr!
Weshalb?
Raths: Ich will Vertrauen gegenüber der Bevölkerung schaffen. Und das gelingt mir nur, wenn ich vor dem Volk stehen und Einzelheiten erklären kann. Natürlich kann man auch alles im Geschäftsbericht nachlesen. Aber das hat nie den gleichen Effekt.
War es Ihnen beim Erstellen des Geschäftsberichts mulmig zumute, da Sie möglicherweise mit Verlusten durch die Coronapandemie konfrontiert werden würden?
Raths: Nein, die Pandemie wird sich erst ab dem Jahr 2022 auf unsere Finanzen auswirken. Aber umso länger es dauert, bis wir wieder in die Normalität zurückkehren, desto grösser ist die finanzielle Unsicherheit.
Nun weist die Erfolgsrechnung der Stadt Rorschach für das Jahr 2020 einen Ertragsüberschuss von 4.73 Millionen Franken aus. Also fällt das Ergebnis um 4.71 Millionen Franken besser aus als budgetiert. Überrascht Sie das in einem Jahr wie diesem?
Raths: Eigentlich nicht. Denn wir wussten, dass wir die Deponiereserven auflösen werden und dass die Entwicklung der Sozialhilfe um 1.1 Millionen Franken besser war.
Dieser Überschuss wurde aber auch dadurch generiert, dass Rorschach 4.5 Millionen Franken aus der Aufwertungsreserve Verwaltungsvermögen entnommen hat. Also sind die 4.73 Millionen Franken ein bisschen geflunkert!
Raths: Hätten wir die 4.5 Millionen Franken nicht aus der Aufwertungsreserve Verwaltungsvermögen genommen, würden wir eine schlanke Null schreiben. Das haben wir auch budgetiert und landeten somit eine Punktlandung. Hätten wir die 4.5 Millionen Franken nicht genutzt, hätten wir diese Summe ins Eigenkapital verschreiben müssen und dieses wäre somit wieder gestiegen. Es hätte dann nicht lange gedauert, bis erste Stimmen eine Steuersenkung beansprucht hätten. Reto Stuppan: Wir müssen vielleicht noch ergänzen, dass wir bei den 4.7 Millionen Franken bereits wieder eine Vorfinanzierung über 1.5 Millionen Franken für das Kornhaus vorgenommen haben. Hätten wir dies nicht vorfinanziert, läge der Überschuss bei 6.2 Millionen. Ohne die 4.5 Millionen aus der Aufwertungsreserve wären wir doch wieder bei fast zwei Millionen Gewinn gewesen.
Die Aufwertungsreserve Verwaltungsvermögen beträgt zur Zeit 65 Millionen Franken. Im Geschäftsbericht heisst es, dass dieses Geld innert 13 Jahren aufgelöst werden muss. Woher stammt dieses Geld und weshalb muss es aufgelöst werden?
Stuppan: Im Jahr 2018 betrug das Verwaltungsvermögen rund 40 Millionen Franken. Danach wechselte die Stadt Rorschach auf das «Harmonisierte Rechnungsmodell 2» (HRM2). Dieser Wechsel verlangte ein sogenanntes «True-and-fair-View»-Prinzip. Die Stadt musste also Infrastrukturen, die zum Verwaltungsvermögen gehören, neu bewerten. Entsteht dann eine Aufwertung beim Verwaltungsvermögen auf der Aktivseite, muss als Gegenpol auch das Eigenkapital der Stadt angepasst werden. So ist die Aufwertungsreserve zu erklären. Da sich die Stadt Rorschach im Dezember 2018 dafür entschieden hatte, diesen Betrag in der Aufwertungsreserve zu behalten, setzte der Kanton voraus, den damaligen Betrag von 74.2 Millionen Franken in den nächsten 15 Jahren aufzubrauchen. Letztes Jahr nutzten wir 4.7 Millionen Franken und dieses Jahr 4.5 Millionen Franken. Für die nächsten 13 Jahre wissen wir nun, dass wir fünf Millionen Franken pro Jahr in den Städtischen Haushalt fliessen lassen können. Die Politik ist jetzt aber gefordert, in den nächsten 13 Jahren eine Lösung zu finden, damit man auf die zusätzlichen fünf Millionen nicht mehr angewiesen ist.
Herr Raths, Sie haben in der Region den Ruf des Steuersenkers. Rorschach hat im Jahr 2020 eine schwarze Null erwirtschaftet und Sie wollen die Steuern trotzdem um fünf Prozent senken. Dies während einer Pandemie, die finanzielle Unsicherheiten mit sich bringt. Wollen Sie damit einfach Ihrem Ruf gerecht werden?
Raths: Nein! Wenn ich die Steuern senke, dann mit der Aussicht auf fünf Jahre. Die Steuersenkung von fünf Prozent bedeutet eine Minderung der Steuerkraft um 750 000 Franken. Das ist für Rorschach mit einem Eigenkapital von 20 Millionen Franken mehr als verkraftbar. Somit bin ich überzeugt, dass es in den nächsten fünf Jahren keine Steuererhöhung geben wird. Hinzu kommt, dass Rorschach die Steuerkraft stärken will und auch stärken kann.
Und wie?
Raths: Es entsteht viel neuer Wohnraum in Rorschach. Vor kurzem wurde das Löwengarten-Areal fertiggestellt, welches ein voller Erfolg ist. Daneben entsteht auch ein Neubau. Und auch das Gebäude an der Signalstrasse, wo der Denner-Supermarkt angesiedelt war sowie die Gebäude beim Laden der Thür AG werden abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Es entsteht neuer, attraktiver Wohnraum, der auf der Ertragsseite eine Verbesserung zur Folge haben wird.
Ist denn Rorschach aufgrund der Altbauten zu wenig attraktiv und verhindert den Zuzug zahlungskräftiger Steuerzahler?
Raths: Wir haben viele Altbauten. Und vieles muss und soll man erhalten. Man muss aber auch den Mut haben, Altes durch Neues zu ersetzen, da sich die Ansprüche verändert haben.
Also gehen Sie das Risiko ein, die Steuerreduktion aufgrund einer möglichen Stärkung der Steuerkraft auszugleichen?
Raths: Die Stärkung der Steuerkraft ist Realität. Die letzten drei oder vier Jahre verzeichnen wir hier eine kontinuierliche Zunahme. Die Chance, dass diese mit den neuen Überbauungen weiterhin wachsen wird, ist sehr gross. Und nochmal: Die Steuersenkung um 750 000 Franken ist ein kalkuliertes Risiko. Denn eines kann man mir glauben: Ich will nicht vor das Volk treten und eine Steuererhöhung verkünden müssen. Ich will auch nicht auf Teufel komm raus den Steuerfuss senken. Aber wenn wir der Meinung sind, dass es möglich ist, dann ist es richtig. Und das kann und darf man dem Bürger auch zurückgeben.
Von Marino Walser