Tübachs Kantonsrat kämpft für St.Galler Mumie Schepenese
Der Schweizer Regisseur Milo Rau forderte mit seiner «St.Galler Erklärung für Schepenese» die Rückführung der Mumie aus der Stiftsbibliothek nach Ägypten. Das Papier enthält jedoch Unwahrheiten, weshalb sich in der Bevölkerung Unmut regt. Michael Götte, Gemeindepräsident Tübach (SVP), wehrt sich mit einer einfachen Anfrage gegen die ungenügend fundierten Anschuldigungen.
St.Gallen Damit hätte wohl niemand gerechnet. Der Schweizer Regisseur Milo Rau dankt der Stadt die Verleihung des St.Galler Kulturpreises mit einem Angriff auf die Stiftsbibliothek – das Herz des St.Galler Kulturerbes. Das Preisgeld in der Höhe von 30 000 Franken soll dazu verwendet werden, die Rückführung der Mumie Schepenese aus der Stiftsbibliothek nach Ägypten zu ermöglichen. Aber ist eine solche Forderung nach Rückführung und mit ihr die Verbreitung von Unwahrheiten über die Provenienz der Mumie Schepenese überhaupt rechtens?
Unverständnis und Kopfschütteln in der Bevölkerung
Die Aktion löst Unverständnis und Kopfschütteln in der Bevölkerung aus, da Milo Rau mit seiner «St.Galler Erklärung für Schepenese» offensichtlich Unwahrheiten verbreitet und die Stiftsbibliothek gar ohne ausreichende Belege oder gerichtliche Verurteilung des Raubs eines Kulturgutes bezichtigt. Die Stiftsbibliothek St.Gallen weist in ihrer Stellungnahme vom 17. November darauf hin, dass es keinen Beleg für den von Milo Rau behaupteten Grabraub gäbe, womit auch der Tatbestand des Kunstraubes nicht erfüllt ist.
Unfundierte Diffamierung einer Gedächtnisinstitution
So geht es also nicht, fand auch Michael Götte, Kantonsrat und Gemeindepräsident von Tübach (SVP). Der Politiker sah sich mit zahlreichen Rückmeldungen aus der Bevölkerung konfrontiert, sodass er am Montag, 12. Dezember, eine einfache Anfrage beim Kanton einreichte. Michael Götte bezichtigt Milo Rau darin der «Diffamierung einer der führenden europäischen Gedächtnisinstitutionen» und er fordert von der Regierung eine Stellungnahme.
Wem gehört die Mumie?
Es ist sicherlich nicht das erste Mal, dass von einem europäischen
Museum oder einer europäischen Kunstinstitution die Rückführung eines Kulturgutes gefordert wird. Der Begräbnisort der Mumie war vermutlich die Hathor-Kapelle auf der Südseite des Hatschepsuttempels in der Nekropole in Theben-West, nahe des heutigen Luxor. Zwangsläufig stellt sich die Frage, wem die Mumie Schepenese denn nun gehört. Fest steht, dass die
Mumie Schepenese vor etwa 200 Jahren nach St.Gallen kam. Die Umstände der Grabentnahme sind
noch nicht bekannt. Sie wurde
damals aller Wahrscheinlichkeit nach von Karl Müller-Friedberg (1755 bis 1836), dem Gründer und führenden Politiker des Kantons St.Gallen, vom deutschen Geschäftsmann Philipp Roux gekauft. Im
Jahr 1836 erwarb schliesslich der Katholische Konfessionsteil die Mumie.
Raub eines Kulturgutes?
Relevant für die Frage der Restitution von Kulturgütern ist laut Experten der Stiftsbibliothek die UNESCO-Konvention von 1970 über Massnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut. In der Schweiz wurde diese Konvention 2003 mit dem Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer umgesetzt. Dort finden sich die in der Schweiz geltenden rechtlichen Bestimmungen zur Frage der Restitution von Kulturgütern. In Artikel 9 ist eine Verjährungsfrist von 30 Jahren festgelegt. Es ist dem Staat Ägypten seit mehr als 30 Jahren bekannt, wo sich die Mumie Schepenese befindet, weshalb die Forderung nach einer Rückführung die Verjährungsfrist nach Schweizer Recht überschritten hat. Die Stiftsbibliothek ist ausserdem sowohl durch das am 1. Januar 2023 in Kraft tretende Kulturgüterdekret des Katholischen Konfessionsteils des Kantons St. Gallen als auch gegenüber dem Bundesamt für Kultur verpflichtet, problematische Provenienzen abzuklären.
Von Claudia Eugster.