Pro und Kontra zur Verrechnungssteuerreform
Am 25. September entscheidet die Stimmbevölkerung über die Verrechnungssteuer. Die Bodensee Nachrichten haben dazu eine Stellungnahme pro und kontra eingeholt.
Abstimmungen Der Bund erhebt auf Einkommen aus Zinsen eine Verrechnungssteuer von 35 Prozent. In der Schweiz wohnhafte Privatpersonen können diese zurückfordern. Auf Zinsen aus Obligationen fällt die Verrechnungssteuer nur an, wenn die Obligationen in der Schweiz ausgegeben wurden. Viele Länder erheben keine Verrechnungssteuer.
In dieser Ausgabe kommen Michael Glanzmann, Die Mitte, Gemeinderat von Horn (pro), und Daniel Bertoldo, Präsident EVP Wahlkreis St.Gallen (kontra), zu Wort.
PRO: Reform macht Schweizer Obligationenmarkt attraktiver
Michael Glanzmann, Die Mitte, Gemeinderat von Horn, empfiehlt die Annahme der Änderung vom 17. Dezember 2021 des Bundesgesetzes über die Verrechnungssteuer (Verrechnungssteuergesetzt, VStG) zur Stärkung des Fremdkapitalmarktes.
Herr Glanzmann, für viele normale Bürgerinnen und kleine Unternehmen sind Obligationen ein Fremdwort. Der Handel mit Obligationen wird vor allem von der Finanzbranche betrieben. Wieso soll diesen Unternehmen geholfen werden, noch grössere Gewinne zu machen? Selbst profitieren wird der normale Bürger von einem JA an der Urne nicht.
Unternehmen machen bei der Annahme der Vorlage nicht mehr Gewinn. Schon heute können Schweizer Unternehmen Obligationen in Ländern ausgeben, welche keine Verrechnungssteuern erheben. Davon hat die Schweiz aber nichts! Der Schweizer Obligationenmarkt ist mit den heutigen Gegebenheiten unattraktiv und war in den vergangenen Jahren rückläufig. Schweizer Firmen sollen sich in der Schweiz refinanzieren können. Mit dieser Reform wird der Schweizer Obligationenmarkt attraktiver. Dies führt zu höheren Steuereinnahmen, mehr Arbeitsplätzen und weniger Bürokratie. Dies hilft sowohl den Unternehmen als auch der breiten Bevölkerung.
Das Komitee «Steuern mit Vernunft», das gegen die Vorlage ist, beginnt die Argumentation mit folgender Aussage: «Nach der Stempelsteuer-Abstimmung wird schon wieder versucht, neue Privilegien für Konzerne und Grossanleger einzuführen. Denn die Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Obligationen bringt KMU, Gewerbe und Mittelstand nichts.» Was halten sie dem entgegen?
Der Bund war und ist bestrebt, steuerlich Nachteile mit dem Ausland zu korrigieren, um attraktive Rahmenbedingungen für eine prosperierende Wirtschaft zu schaffen. Zudem reduzieren wir mit dieser Reform Komplexität und Bürokratie. Dies ist doch wünschenswert und sollte auch in anderen Bereichen der Verwaltung angestrebt werden – davon profitieren wir alle.
In einem weiteren Argument schreiben die Gegner, dass die Annahme der Reform zu mehr Steuerkriminalität und zu Steuerausfällen von bis zu 800 Millionen Franken führt. Wie kann man solche Konsequenzen befürworten?
Der Bund rechnet mit Mindereinnahmen von bis zu 275 Millionen Franken. Dies ist doch deutlich tiefer als die erwähnten 800 Millionen Franken. Der Bund geht davon aus, dass sich die Reform selbst finanzieren wird. Wir müssen auch die Chancen sehen, welche die Reform mit sich bringen wird. Die Ausgabe von Anleihen wird günstiger und öffnet den Kapitalmarkt auch für Teilnehmer, welche sich bis dato anders refinanzieren mussten.
Die Befürworter der Vorlage sind der Meinung, dass durch die Reform Steuereinnahmen zurück in die Schweiz geholt werden, die Gegner rechnen mit Steuerausfällen. Welches Szenario würde durch die Annahme der Vorlage tatsächlich eintreten?
Eine breite politische Allianz befürwortet die Reform. Auch die Wirtschaftsverbände empfehlen, am 25. September 2022 ein Ja einzulegen. Für mich überzeugen die Volkswirtschaft bedeutenden Vorteile, und ich möchte die sich bietende Chance nutzen, die Schweizer Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
KONTRA: Für die KMU und das Gewerbe bringt diese Vorlage nichts
Für die Ablehnung der Änderung des Bundesgesetzes über die Verrechnungssteuer spricht sich Daniel Bertoldo, Präsident EVP Wahlkreis St.Gallen, aus.
Finanzierungen für Schweizer Unternehmen könnten durch die Reform der Verrechnungssteuer günstiger werden. Ist dies nicht wünschenswert?
Im Grundsatz ist es das natürlich. Allerdings ist es nicht so einfach. Denn nicht alle Unternehmen profitieren tatsächlich von der Änderung. Profitieren werden die grossen Unternehmen und Konzerne. Für die KMU und das Gewerbe bringt diese Vorlage nichts, weil sich diese nicht über Obligationen finanzieren. Dabei sind gerade diese Betriebe entscheidend für unsere Gesellschaft. Sie schaffen Arbeitsplätze in den Regionen. Wenn überhaupt, müsste eine Vorlage ausgearbeitet werden, die diese Betriebe entlastet.
Durch die Verrechnungssteuer suchen viele Schweizer Unternehmen Finanzierungen im Ausland. Wäre es nicht besser, wenn das Geld hier in der Schweiz beschafft wird?
Ja, generell schon. Aber es ist nicht der einzige Punkt, den es zu beachten gilt. Bei den Obligationen werden Zinsen bezahlt, die dann auch wieder versteuert werden müssen. Solange diese entsprechend angegeben werden, profitiert der Bund und damit wir alle davon. Allerdings weisen Berechnungen darauf hin, dass ein Grossteil des Geldes ins Ausland abfliesst. Damit ist bei einem Ja zur Verrechnungssteuer-Vorlage mit einem Ausfall in Millionenhöhe zu rechnen.
Die Verrechnungssteuer benachteilige die Schweiz im internationalen Standortwettbewerb, ist vonseiten der Befürworter zu hören. Ist es nicht an der Zeit, diesen Standortnachteil aus der Welt zu schaffen?
In den letzten Jahren hat der Bund Steuererleichterungen bei Betrieben eingeführt. Die letzte Abstimmung zu diesem Thema betraf die Abschaffung der Stempelsteuer. Ich bin der Meinung, dass es nun an der Zeit ist, in anderen Bereichen über eine Reduktion der Steuern nachzudenken. Denn Aussen vor blieben bei einem Ja einmal mehr die Familien. Mit der aktuellen Steuervorlage, über die es abzustimmen gilt, wird der finanzielle Spielraum des Bundes für die Entlastung der Familien weiter verkleinert. Dabei wäre es zentral, endlich die Heiratsstrafe bei Steuern und AHV abzuschaffen. Dies wurde in den vergangenen Jahr-en aus Kostengründen immer wieder verschoben.
Die Befürworter der Vorlage sind der Meinung, dass durch die Reform Steuereinnahmen zurück in die Schweiz geholt werden, die Gegner rechnen mit Steuerausfällen. Welches Szenario würde durch die Annahme der Vorlage tatsächlich eintreten?
Ich denke, es kann nicht mit absoluter Sicherheit gesagt werden, welches Szenario eintritt. Allerdings ist zu befürchten, dass ein Steuerausfall in der Höhe von bis zu 800 Millionen Franken entsteht. Zu zahlen haben diesen Ausfall die Bürger dieses Landes, die ihre Steuererklärung ehrlich ausfüllen. Mit der Abschaffung der Verrechnungssteuer ist die Versuchung gross, nicht alles zu deklarieren und damit Steuern zu sparen. Ich denke daher nicht, dass Steuereinnahmen zurück in die Schweiz geholt werden können. Die Vorlage spricht davon, dass mit der Abschaffung der Verrechnungssteuer der Schweizer Wirtschaft geholfen wird. Fakt ist aber auch, dass mindestens 480 Millionen Franken direkt ins Ausland abfliessen. Daher lehne ich die Verrechnungssteuervorlage ab.
Von Claudia Eugster und David A. Giger.