"Zwischen 9 und 23 Uhr dürfen wir getrost sterben"
Die Kantonsrätin Luzia Krempl-Gnädinger aus Wolfhalden hat eine Interpellation zur Notfallversorgung in der Region eingereicht. In der Zwischenzeit hat auch der Rorschacher Bürger HP Schneider nach über 40 Tagen die Antwort der Regierung auf seine Petition erhalten, die er als «schwach» empfindet, und in einer Medienmitteilung kommentiert.
Region Wenn Miriam B. oder Urs M. aus Rorschach und Umgebung plötzlich Bauchschmerzen plagen, versucht sie oder er vermutlich erst einmal, einen Termin beim Hausarzt zu bekommen. Scheinbar ist dies aber derzeit gar nicht so einfach, da die Hausärzte überlastet sind und man bei nicht lebensbedrohlichen Notfällen auf Termine länger warten muss. Als Ausweg kommt dann das Kantonsspital St.Gallen in Frage. Aber auch hier muss man offenbar lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Schilderungen dieser Art bekommt derzeit Kantonsrätin Luzia Krempl-Gnädinger, beruflich als onkologische Pflegefachfrau im Kantonsspital St.Gallen am Standort Rorschach tätig, immer wieder zu hören. «Viele betroffene Patienten und deren Angehörige haben inzwischen festgestellt, dass die Versorgung bei nicht lebensbedrohlichen Notfällen in der Region nicht mehr ausreichend gut funktioniert. Sie warten teilweise stundenlang in der Notaufnahme des Kantonsspitals auf ihre Behandlung», sagt sie dazu. Ausserdem vermisst sie heute, zwei Jahre nach dem Kantonsratsentscheid, das Spital Rorschach zu schliessen, ein konkretes Projekt für das geplante Ambulante Gesundheitszentrum AGZ. Immer wieder wird sie von Bewohner:innen der Region darauf angesprochen. Für sie Anlass, eine Interpellation bei der Regierung einzureichen.
Konzept müsste angepasst werden
Da bis heute noch immer kein konkretes Projekt für ein AGZ bekannt ist, befürchtet sie, dass dieses gar nicht realisiert wird. Daher will sie nun von der Regierung wissen, ob sie Kenntnis von der schwierigen Situation in Rorschach bezüglich Notfallversorgung und geplantem AGZ hat, wie der Projektstand ist und welche Akteure im Projekt involviert sind. «Es ist mir klar, dass ein Gesundheitszentrum nicht auf die Schnelle aufgebaut werden kann. Ein solcher Betrieb hat grossen Platzbedarf und insbesondere die Angebote des Kantonsspitals, namentlich die Hämodialyse, bedingen auch Umbauten am Gebäude», so Luzia Krempl-Gnädinger. Sie schlägt vor, eventuell das Konzept etwas anzupassen, um eine Lösung zu beschleunigen. Sie hält es auch für zielführender, das Projekt in Etappen anzugehen und als erstes die wegen baulichen Mängeln im ehemaligen Spital dringlichen Umzüge zu forcieren. Andere potenzielle Teilhaber des Gesundheitszentrums könnten dann ihrer Meinung nach im Laufe der Zeit dazustossen. Konkret wünscht sie sich, dass sich schnellstmöglich eine Gruppe von Vertreter:innen der Ärzteschaft, des Kantonsspitals und der regionalen Politik an einen gemeinsamen Tisch setzen und das weitere Vorgehen diskutieren, wie sie gegenüber unserer Zeitung geäussert hat.
«Die Antwort der Regierung ist schwach»
Wie die Bodensee Nachrichten mehrfach berichteten, ist auch der Rorschacher Bürger HP Schneider mit der jetzigen Notfallversorgung unzufrieden. Mit ihm zusammen offenbar noch über 1 700 weitere Bürger:innen, die seine Petition «Notfallstationen in den Regionen» mitunterzeichnet haben. Die Antwort der Regierung, die er nach über 40 Tagen des Wartens nun vergangene Woche erhalten hat, findet er «schwach» und geht davon aus, dass sich «kein einziges Mitglied der Regierung» mit der Petition befasst hat. Kopfschütteln löst bei ihm insbesondere eine Passage im Antwortschreiben aus: «In der Region Rorschach wird der hausärztliche Notfalldienst ab dem 1. Oktober 2022 werktags von 17 bis 23 Uhr und an den Wochenenden von 9 bis 23 Uhr nur noch am KSSG angeboten». HP Schneider kommentiert dies sarkastisch mit dem Satz «In den Zwischen-Leerzeiten, ab 23 Uhr bis zum Beispiel 9 Uhr dürfen wir getrost sterben».
«Jedes Unrechtsbewusstsein fehlt»
Der Regierung des Kantons St. Gallen unterstellt er, dass ihr nach wie vor «jedes Unrechtsbewusstsein fehlt», was die Volksabstimmung über die GNZ angeht. Ausserdem kritisiert er, dass per «Mini-Vernehmlassung» zwar die Leistungserbringer in den Regionen konsultiert wurden, aber offenbar niemand die Leistungsempfänger und Prämienzahler nach ihren Wünschen befragt hat. Die meisten Leistungserbringer hält er für befangen und fragt sich, ob diese möglicherweise durch das GNZ eine gewisse Konkurrenz befürchtet haben. Angelegenheit abgeschlossen Wie Rücksprachen seitens der Bodensee Nachrichten ergaben, hatte HP Schneider von der Interpellation der Kantonsrätin im Vorfeld nichts gewusst. Und Luzia Krempl-Gnädinger ihrerseits hat die Petition von HP Schneider bewusst nicht unterschrieben, da sie ein Notfallzentrum für «medizinisch nicht sinnvoll und betriebswirtschaftlich unrentabel» hält. Sie ist der Meinung, dass die Region für schwerwiegende Notfallsituationen gut aufgestellt ist. HP Schneider ist da anderer Ansicht: «Es kann nicht sein, dass eine gewählte St. Galler Regierung abgegebene Versprechen (bezogen auf ein Notfallzentrum) nicht einhält. Zumal vom Kantonsrat Kredite gesprochen wurden. Für ihn ist die ganze Angelegenheit nun jedoch abgeschlossen, wie er sagt, und er plant dazu keine weiteren politischen Interventionen mehr.
«Private Initiativen können das Projekt gefährden»
Stadtpräsident Röbi Raths ist überzeugt, dass Rorschach ein AGZ bekommen wird. Über die privaten Initiativen ist er nicht glücklich: «All diese Engagements machen keinen Sinn und alles, was nun irgendwie quer läuft, kann das Projekt AGZ gefährden», sagt er gegenüber den Bodensee Nachrichten. Bereits anlässlich des letzten Stadtapéros habe er erläutert, dass die Suche nach geeigneten neuen Räumlichkeiten im Januar 2021 umgehend in die Wege geleitet und das Leistungsangebot eng mit der niedergelassenen Ärzteschaft abgestimmt worden sei. Allerdings seien zwei mögliche Bauvorhaben in der Nähe des Stadtbahnhofs durch Einsprachen blockiert worden. Deshalb habe die Suche nach neuen Objekten abermals lanciert werden müssen und dadurch sei es zu einer entsprechenden Verzögerung bei der Planung gekommen.
Lösung zeichnet sich ab
«Das Kantonsspital St.Gallen hat gegenüber der Stadt klar signalisiert, dass es am Standort Rorschach weiterhin festhalten wird», so Röbi Raths. Zwischenzeitlich würde sich eine Lösung mit einer Objektmöglichkeit in Rorschach abzeichnen. Konkrete Angaben hierzu könne er aber aufgrund der laufenden Abklärungen noch keine machen.
Von Astrid Nakhostin