Weisse Rosen als Zeichen der Solidarität
11.06.2020 00:00
Während in Zürich seit Tagen demonstriert wird, hat die öffentliche Rassismusdiskussion in der Ostschweiz bisher wenig Präsenz. Eine Tübacher Familie will das ändern und bekommt dabei Unterstützung von Pfarrer Scotty Williams, der viele Jahre in Minneapolis lebte. Als ersten Schritt luden sie am vergangenen Samstag in St.Gallen zur Diskussionsrunde «Let's Talk About Race» ein.
Region «Unser Leben beginnt aufzuhören an dem Tag, an dem wir über wichtige Dinge stillschweigen bewahren». Das Zitat von Rev. Dr. Martin Luther King Jr. hat für Charmaine Strey und ihre Familie grosse Bedeutung. Die Südafrikanerin lebt seit sieben Jahren mit ihren Töchtern Naomi und Bianca in der Ostschweiz. Der gewaltsame Tod des Afroamerikaners Georg Floyd in den USA geht der Familie sehr nahe und hat in ihnen den Wunsch geweckt, ihre Mitbürger auch hier zur Auseinandersetzung mit der Rassismusproblematik anzuregen. Daher unterstützen sie spontan Pfarrer Scotty Williams von der kantonal st.gallischen Kirche «all souls church» dabei, eine öffentliche Diskussionsrunde zu organisieren. Innerhalb von zwei Tagen kam so am vergangenen Samstag in der St.Galler Kirche Rotmonten die Veranstaltung «Let's talk about race» «Lass uns über Rassismus reden» zustande. Etwa 20 Diskutierfreudige aller Altersklassen waren der über Social Media publizierten Einladung gefolgt und liessen sich von Pfarrer Williams durch den Nachmittag führen.
Das Priestergewand schützte vor Polizeiübergriffen
Der reformierte Pfarrer stammt aus Louisiana, wuchs jedoch in Minneapolis auf, wo er auch zum Pfarrer ausgebildet wurde. Seit zehn Jahren lebt er in der Schweiz, vier davon in der Ostschweiz. Die
Ereignisse der vergangenen Wochen überraschen ihn nicht. «Ich habe während meiner Zeit in Minneapolis immer wieder von der Korruption der Polizei gehört und fürchtete mich selbst vor Übergriffen. Um mich zu schützen, begab ich mich nur im Priestergewand zu meinen Gemeindemitgliedern», schildert er seine Zeit in Minneapolis.
Auch hier will man Solidaritätszirkel schaffen
Gerne würde er in der Region «Solidaritätszirkel» schaffen, wie sie in seiner Heimat bereits etabliert sind. Darin will er jene Leute zusammenbringen, die etwas gegen Rassismus unternehmen möchten. Am vergangenen Samstag ist ihm das gut gelungen. Mit einer Reihe von Fragen regte er zur Rassismusdiskussion an, die rasch in Gang kam. Immer wieder flossen dabei persönliche Erfahrungen ein. Zum Beispiel die Geschichte des afrikanischen Anglikaner-Kollegen, der Mühe hatte, eine Wohnung in der Schweiz zu finden und dem dies erst gelang, als er bei den Besichtigungen im Auto blieb und nur noch die weisse Ehefrau schickte.
Schweigen aus Angst soll verhindert werden
Und immer wieder ging es auch um die Angst, attackiert zu werden, wenn man Rassismus öffentlich anspricht. Daher würden viele Menschen es vorziehen, zu schweigen und das muss nach Meinung von Familie Strey und Pfarrer Williams verhindert werden. «Bitte vergesst eure Angst und sprecht offen aus, was Ihr denkt», fordern die Veranstaltungs-Organisatoren. Und darum wollen sie in Kürze auch einen Protestmarsch organisieren.
20 Rosen im Gedenken an Rassismusopfer
Nach gut zwei Stunden beendete Pfarrer Williams die Diskussion mit einem emotionalen Statement: «Man kann Solidarität nicht nur mit demonstrieren zeigen. Ich habe hier 20 weisse Rosen. Ich bitte 20
Menschen aus der Menge, eine von diesen Rosen zu nehmen und sie irgendwo in der Stadt, an einem schönen Ort zu hinterlegen. Offen sichtbar für alle. Legt sie hin und denkt dabei an die Opfer von Rassismus. Sagt ihren Namen und legt die Rose ganz bewusst dort hin. Legt sie als
Zeichen der Solidarität hin.»
Astrid Nakhostin und Marino Walser